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Selbstverständnis

Die Zahl der Menschen mit einer demenziellen Veränderung wird in den kommenden Jahren wachsen. Eine würdige Umsorgung und Integration dieser Menschen ist damit zu einer großen Herausforderung für die deutsche Gesellschaft geworden: Auf dem Hintergrund labiler Familienverhältnisse, schwindender Nachbarschaftshilfen und überlasteter Gesundheitsetats wird „Demenz" zu einem bedeutenden sozialen Brennpunktthema in Deutschland.

Das wird in der Öffentlichkeit bisher noch nicht deutlich wahrgenommen. Die Entwicklung spitzt sich indessen auch dadurch zu, dass unsere Gesellschaft altert und dass eine wachsende Zahl von Hochaltrigen allein lebt.

Viele ältere Menschen haben Angst vor Demenz, verbinden ein Leben mit Demenz mit dem Verlust ihrer Würde. Widerspricht es doch in vielerlei Hinsicht den Vorstellungen eines autonomen, vernunftgesteuerten und gesunden Lebens. Wir wissen heute darum, ein Leben mit Demenz kann von den Betroffenen als lebenswert empfunden werden. Es ist eine conditio humane, sich mit verantwortlich zu fühlen für lebens- und menschenfreundliche Bedingungen, auch und gerade für Menschen mit Demenz.
Das Thema Demenz ist in der Politik angekommen. Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft ist seit Jahren aktiv. Viele Professionelle suchen nach neuen und menschenfreundlichen Wegen in der Versorgung. Die Wissenschaft sucht erfolgreich nach Wegen einer fachlich angemessenen Begleitung und Betreuung. Ein gutes Leben mit Demenz und mit Menschen mit Demenz verlangt aber nach mehr: aus kulturellen, sozialen und ökonomischen Gründen muss nach neuen zivilgesellschaftlichen Wegen in der Umsorgung und Integration von Menschen mit Demenz gesucht werden. Das reicht von einer fälligen Selbstorganisation der Experten bis zur Neuinterpretation und Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeit. Darum die Aktion Demenz.

Die Robert Bosch Stiftung hat 2004 Fachgruppen ins Leben gerufen, die unter der Devise „Gemeinsam für ein besseres Leben mit Demenz" nach neuen Wegen im Umgang mit Demenz gesucht haben. Aus dieser Initiative ist nun die „Aktion Demenz" entstanden, die sich in Kooperation mit anderen Organisationen und Gruppen in neuer Weise dem Thema widmen will, um deren Arbeit zu unterstützen. Die Ziele der „Aktion Demenz" sind:

  • Durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit soll in Medien, in einschlägigen Institutionen, bei Experten und „Laien" das Bewusstsein für die Demenz-Thematik gestärkt werden und Handlungsbereitschaft geweckt werden.
  • Durch die Diskussion alter und neuer Versorgungsstrukturen sollen Wege für alternative - zivilgesellschaftliche - Innovationen eröffnet werden. Dabei geht es nicht nur um die „Erfindung" neuer Modelle, sondern in starkem Maße auch um die „Auffindung" vorhandener Alternativen im Alltag der Familien und Institutionen. Der Einfalls- und Erfindungsreichtum der Bürger und Bürgerinnen wird nach unserer Auffassung systematisch unterschätzt.
  • Die Unterbringung von Menschen mit Demenz in spezialisierten Institutionen wird sich mittelfristig nicht ganz vermeiden lassen. Die Suche nach einer Verknüpfung von Institution und De-Institutionalisierung erfordert aber neue Ansätze. Wir plädieren für koproduktive Milieus, in denen Betroffene, Angehörige, Experten und Ehrenamtliche in neuer Weise zusammenwirken.

Angesichts der wachsenden Zahl von Betroffenen, angesichts ihrer drohenden kulturellen und sozialen Exklusion und angesichts der ökonomischen Einschränkungen im Gesundheitsbereich wird staatliche Daseinsfürsorge künftig durch zivilgesellschaftliches Engagement deutlich zu ergänzen sein. Dieses Engagement sollte auch Bürger und Bürgerinnen einschließen, die nicht unmittelbar selbst oder durch Angehörige betroffen sind. Letztendlich geht es um die Erfindung und Identifikation neuer Netze der „Freundschaft" in der postmodernen Gesellschaft und damit um eine Wiederbelebung und Stärkung der eigenen Kräfte im sozialen Sektor.

Berlin 1. Mai 2006 für den Vorstand der „Aktion Demenz" Reimer Gronemeyer, Carmen Tillmann, Peter Wißmann