„Eine Veranstaltung, die Mut macht“ – Prof. Dr. Thomas Klie
Prof. Dr. Thomas Klie, Professor für öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften an der Evangelischen Hochschule in Freiburg, mit zahlreichen Ämtern und Würden ausgestattet und seit der Gründung des Vereins im Vorstand der Aktion Demenz tätig.
Sabine Reinhold: Herr Professor Klie, wir haben gestern von Herrn Hummel die schöne Formulierung gehört, Bürgerschaftliches Engagement bringt mir pro Tätigkeit ein Jahr mehr Lebenszeit oder, wenn ich es nicht tue, verkürzt es mein Leben. Ist das mehrheitsfähig? Sie beschäftigen sich ja wissenschaftlich mit bürgerschaftlichem Engagement.
Thomas Klie: Das ist empirisch belegt.
Sabine Reinhold: Aber ist es bekannt genug?
Thomas Klie: Das bestimmt nicht und da sind nicht nur solche Veranstaltungen wie hier wichtig, um solch ein Wissen zu verbreiten, was Gesellschaft zusammenhält, und was mich zusammenhält - das gehört in die öffentliche Diskussion, in die kommunalpolitische Diskussion, in die Kirchen hinein, und überall dort, wo wir über das sprechen, was unser Leben zusammenhält und was uns ausmacht.
Sabine Reinhold: Ich habe Sie da roh unterbrochen - ist das empirisch belegt?
Thomas Klie: Ja. [Pause] Sie wollen ja kurze Antworten. Oder wollen Sie jetzt Zahlen?
Sabine Reinhold: Noch einen halben Satz dürfen Sie ... [Gelächter] .... Beispiel. Wie sieht so eine Studie aus?
Thomas Klie: Wir wissen, beispielsweise von der sogenannten SIMA-Studie aus Nürnberg-Erlangen, dass Prävention, wenn sie sich entfalten soll in Richtung gesundes Leben im Alter, darum geht es ja im Wesentlichen, sich zusammensetzt aus einer bestimmten körperlichen Aktivität, aus der geistigen Aktivität, aber auch aus der sozialen Aktivität und der sozialen Zugehörigkeit, und im übrigen auch aus der spirituellen Dimension. Und nur wenn wir alles vier machen ... also wir können uns zu Tode joggen, das hilft nicht alleine weiter. Das ist zwar als Anti-Depressivum auch gut, aber die soziale Dimension hält uns in ganz vielerlei Hinsicht gesund und dazugehörig. Das ist ja auch der Teilhabegedanke, den wir auch international stark gemacht haben, zum Beispiel mit der sogenannten ICF - der Internationalen Klassifikation über Funktionsfähigkeiten - die Zugehörigkeit zur Gesellschaft, zu dem, was uns unmittelbar umgibt, das macht uns gesund, auch in dem weiten WHO-Verständnis von Gesundheit, das sich hoffentlich noch weiter etabliert, als dies bisher der Fall ist.
Sabine Reinhold: Und könnte uns gesund halten, wenn wir schon angekränkelt sind, also wenn wir in Anfangsstadien von Demenz sind ... hält uns das stärker?
Thomas Klie: Stärker auf jeden Fall. Ich glaube, es ist ganz, ganz wichtig für einen Menschen, dass er für andere Bedeutung hat. Das macht einen psychisch gesund oder zumindest kränkt uns das nicht. Und das, glaube ich, ist im Übrigen eine der ganz großen Gefahren, dass Menschen Angst haben, nicht mehr dazu zu gehören, für andere nicht mehr bedeutsam zu sein und sich deswegen möglicherweise auch darüber Gedanken machen, wie sie ihrem Leben ein Ende bereiten können. Die ganze Patientenverfügungsdiskussion ist davon geprägt, dass Menschen keine Zuversicht mehr haben, dazu zu gehören. Das gilt gerade bei Demenz. Und diese Veranstaltung hier ist ja eine Ermutigungsveranstaltung, sie schenkt Zuversicht - und das brauchen wir viel stärker als diese selbstreferentiellen rechtspolitischen Diskussionen über Patientenverfügungen, die etwas ganz anderes transportieren, nämlich genau das Gegenteil, dass wir keine Zuversicht mehr haben.[Beifall]
Sabine Reinhold: Sie haben mit Wendung zu den Bürgermeistern gesagt wir brauchen eine stärkere Förderung des Gedankens des bürgerschaftlichen Engagements auch da, wo er noch ist ... was kann das anderes sein als Appelle?
Thomas Klie: Das kann sehr viel mehr sein. Ich wünschte mir eine andere Architektur unserer sozialen Sicherung in vielerlei Hinsicht. Wir konzentrieren uns ganz stark auf das, was professionell auch geboten sein muss - Stichwort Pflegeversicherung. Peter Wißmann hat gesagt, wir sollen darüber nicht reden, tun wir auch nicht, aber trotzdem: Pflegeversicherung gibt uns auch Vorgaben, die genau das mit behindern, was wir hier eigentlich erleben, nämlich dass Koproduktion in einem Aushandlungsgeschehen überall möglich werden kann. Das ist eine riesige Ermutigungsveranstaltung, ich bin selber sehr beeindruckt davon, - und dass wir möglicherweise uns sehr viel mehr öffnen müssen gegenüber dem, was uns möglich erscheint, in der Gestaltung gelingenden Lebens mit Demenz - als Betroffener und als Angehöriger, und da ist die Konzentration auf das, was wir jetzt sozialleistungsrechtlich vorprogrammiert haben, hochproblematisch. Da wünschte ich mir eine viel stärkere Bemächtigung der Kommunen.
Ich stelle mir auch vor, dass wir mittelfristig gar nicht umhin kommen, die Verantwortlichkeit auch sozialstaatlich wieder zu rekommunalisieren. Da gehört die soziale Sicherung im Alter hin und nicht auf eine nationale Ebene mit Vorgaben, die letztlich die Vielfalt dessen, was hier heute sichtbar geworden ist, eher erschwert denn befördert.
Sabine Reinhold: Herzlichen Dank, Herr Professor Klie . [Applaus]