„Sich von den „unter die Räuber gekommenen“ anregen lassen – Pfarrer Sönke Wandschneider
Sönke Wandschneider, Pastor im Ruhestand, Hamburg, lange Jahre in der Erwachsenenbildung für kirchliche Träger, Gewerkschaften u.a. tätig, seit langem mit Altersthemen befasst.
Sabine Reinhold: War es in der Kirche schwieriger oder einfacher, das Thema Demenz einzubringen? Denn schließlich haben Menschen in der Kirche ja auch Ängste wie alle anderen auch.
Sönke Wandschneider: Also eigentlich ist die Kirche der Ort, wo dieses Thema Original zu Hause sein müsste. Und es ist dort durchaus auch zu Hause, aber in einem mich immer sehr seltsam berührenden „Betreuungsverständnis" - dass die Seniorenkreise, die so genannte Altenarbeit, mehr unter dem Motto läuft: „Wir sind die Täter, die wissen, wo's längs geht und die Alten sind die Opfer". - ich sage das mal etwas vergröbert (S. Reinhold: „So kennen wir ihn in Hamburg"). Ja. Und ich denke, das ist in vielen Gemeinden bis heute so. Und das, was wir heute morgen in der Arbeitsgruppe gehört haben, ist wirklich auch für mich sehr neu - dass es Gottesdienstformen gibt, die speziell für Menschen mit Demenz angelegt sind, aber auch integrative Gottesdienstformen, und zusätzlich andere Arbeitszweige, wo das Stichwort Integration eine ganz große Rolle spielt.
Und ich denke, dass die Kirche da noch eine Lernende ist. Ich kann nur von mir sagen, in meiner Ausbildung kam das nicht vor, und ich weiß von meinen Besuchen in den Altersheimen, dass auch die Altenpfleger, und teilweise die Schwestern dort zum größten Teil mit dieser Thematik tagtäglich konfrontiert waren, aber was ihre Ausbildung betrifft Null da war. Das ändert sich ganz mühsam und ganz langsam. Auch innerhalb der Kirche, wir sind ja wohl die älteste Firma in der Welt, - dass das lange Prozesse sind, ist wohl jedem einleuchtend, aber angesichts der Dringlichkeit der Thematik müsste es eigentlich schneller gehen.
Sabine Reinhold: Wie ist das dann in gewerkschaftlichen Organisationen, wo Sie ja auch tätig sind?
Sönke Wandschneider: Um ein Beispiel zu nennen: Ich habe schon zwei Mal einen Bildungsurlaub angeboten - also fünf Tage von morgens bis abends, so etwas gibt es in Hamburg noch - zum Thema „Und wenn wir alle 100 sind". Da kommt natürlich das Thema Demenz ganz massiv darin vor als Angst, als Erfahrung - im Umgang mit den Eltern zum Beispiel - aber auch bei jungen Menschen ist das nach wie vor ein Tabuthema. Nun sind das, wenn ich so etwas im gewerkschaftlichen Bereich anbiete, überwiegend sozial interessierte, überhaupt nicht unmotivierte Menschen und die haben auch eine Idee davon, dass wir, so wie das Reimer Gronemeyer gestern gesagt, hat, unsere Blickrichtung ändern müssen, weg davon, dass wir „die armen Menschen betreuen", darum geht das gar nicht, sondern darum, dass wir uns von ihnen in anderer Weise anrühren lassen, be-rühren lassen. Also, um das in einem biblischen Bild zu sagen, „den unter die Räuber gekommenen - so sehe ich manchmal demente Menschen, unter die Räuber, unter die Mediziner, unter die Pharmaindustrie und was weiß ich ... [Applaus] gekommenen - ihnen eine Chance zu bieten, ihnen zur Seite zu stehen. Ich denke also, es muss mehr ein Austausch, ein neuer Austausch gelernt werden, und da schließe ich mich auch mit ein - das ist für mich auch eine ungewohnte Blickrichtung - sozusagen nicht mehr der professionelle Helfer zu sein, der hilft und dem Hilfsbedürftigen zur Seite steht, sondern mich von dem unter die Räuber Gekommenen anrühren, anregen zu lassen ...